Was ist culpa in contrahendo?

Culpa in Contrahendo (cic)

Culpa in Contrahendo, kurz cic, bezeichnet die Haftung für Schäden, die im Rahmen von Vertragsverhandlungen entstehen, bevor ein eigentlicher Vertrag geschlossen wurde. Es handelt sich um eine außervertragliche Haftung, die auf dem Vertrauensverhältnis basiert, welches durch die Aufnahme der Verhandlungen entsteht.

Grundprinzip: Wer durch sein Verhalten bei Vertragsverhandlungen schuldhaft (fahrlässig oder vorsätzlich) Pflichten verletzt, die aus diesem Vertrauensverhältnis resultieren, ist dem anderen Teil zum Schadensersatz verpflichtet.

Rechtsgrundlage:

  • Eine explizite gesetzliche Regelung existiert im deutschen Recht nicht. Die Rechtsfigur der cic wurde durch die Rechtsprechung entwickelt und ist im Wesentlichen Gewohnheitsrecht. Sie wird jedoch oft aus § 311 Abs. 2 BGB (Schutzpflichten bei Vertragsverhandlungen) abgeleitet. Teilweise wird auch auf die Generalklausel des § 241 Abs. 2 BGB (Pflicht zur Rücksichtnahme) abgestellt.

Voraussetzungen für die Haftung wegen cic:

  1. Aufnahme von Vertragsverhandlungen: Es müssen konkrete Verhandlungen über einen Vertrag stattgefunden haben oder zumindest eine vertragsähnliche Beziehung bestehen.
  2. Pflichtverletzung: Eine Pflichtverletzung liegt vor, wenn eine Schutz-, Aufklärungs- oder Sorgfaltspflicht verletzt wurde, die sich aus dem Vertrauensverhältnis ergibt. Beispiele sind:
    • Verletzung von Aufklärungspflichten: Beispielsweise das Verschweigen wesentlicher Mängel oder Umstände, die für die Entscheidung des Vertragspartners von Bedeutung sind.
    • Abbruch von Verhandlungen ohne triftigen Grund: Der Abbruch von Verhandlungen kann eine Pflichtverletzung darstellen, wenn der andere Teil bereits berechtigtes Vertrauen auf den Vertragsabschluss gesetzt hat (siehe Vertrauensschaden).
    • Sorgfaltswidriges Verhalten: Beispielsweise das Herbeiführen von unnötigen Kosten beim Verhandlungspartner.
  3. Verschulden: Der Schädiger muss die Pflichtverletzung schuldhaft (fahrlässig oder vorsätzlich) begangen haben. Dies bedeutet, dass er die Pflichtverletzung hätte erkennen und vermeiden können.
  4. Schaden: Dem Geschädigten muss durch die Pflichtverletzung ein Schaden entstanden sein.
  5. Kausalität: Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden bestehen.

Typische Fallgruppen:

  • Falsche oder unvollständige Auskünfte: Das Erteilen falscher oder unvollständiger Auskünfte über wesentliche Umstände.
  • Verletzung von Geheimhaltungspflichten: Die unbefugte Weitergabe von vertraulichen Informationen, die im Rahmen der Verhandlungen erlangt wurden.
  • Mutwillige Verschleppung von Verhandlungen: Das Hinauszögern von Verhandlungen ohne ernsthafte Absicht, einen Vertrag abzuschließen.
  • Veranlassung unnötiger Aufwendungen: Das Veranlassen des Verhandlungspartners zu unnötigen Aufwendungen im Vertrauen auf einen Vertragsabschluss, der dann nicht zustande kommt.

Rechtsfolgen:

Der Geschädigte kann Schadensersatz verlangen. In der Regel wird der sogenannte negative Interesse ersetzt, d.h. der Geschädigte ist so zu stellen, als hätte er die Verhandlungen nicht aufgenommen (siehe Negatives%20Interesse). Dies umfasst beispielsweise:

  • Aufwendungen, die im Vertrauen auf den Vertragsabschluss getätigt wurden (z.B. Reisekosten, Anwaltskosten, Gutachten).
  • Entgangener Gewinn, wenn der Geschädigte eine andere lukrative Geschäftsmöglichkeit aufgrund der Verhandlungen mit dem Schädiger versäumt hat.

In Ausnahmefällen kann auch das positive Interesse (Erfüllungsinteresse) ersetzt werden, wenn der Geschädigte besonders schutzwürdig ist und der Vertragsschluss mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten war (siehe Positives%20Interesse).

Abgrenzung zur Vertragshaftung:

Die cic-Haftung ist von der Vertragshaftung zu unterscheiden. Die Vertragshaftung greift erst nach wirksamem Vertragsabschluss. Die cic-Haftung hingegen kommt bereits in der Phase der Vertragsverhandlungen zum Tragen.

Beweislast:

Grundsätzlich trägt der Geschädigte die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen der cic-Haftung. Allerdings kann es zu einer Beweislastumkehr kommen, wenn der Schädiger eine Aufklärungspflicht verletzt hat.

Verjährung:

Die Ansprüche aus cic verjähren nach den allgemeinen Verjährungsregeln, d.h. in der Regel nach drei Jahren ab Kenntnis des Schadens und der Person des Schädigers.

Bedeutung für die Praxis:

Die cic-Haftung ist in der Praxis von großer Bedeutung, da sie Unternehmen und Privatpersonen vor unlauterem Verhalten bei Vertragsverhandlungen schützt. Es ist daher ratsam, sich vor Aufnahme von Vertragsverhandlungen über die eigenen Pflichten und Rechte zu informieren.